08 Aug. Ist moderner wirklich besser?
Mein Rewe heisst jetzt „Alster Royal“.
Mein Lieblings-Rewe ist jetzt renoviert worden. Anscheinend hat Corona so eine Art Wende in ein neues Zeitalter verursacht. Noch moderner, noch grösser, noch digitaler. Noch besser?
Ich hatte es befürchtet. Als ich die Schilder sah: „Einen Monat geschlossen, unser Markt wird noch schöner für Sie!“ wusste ich sofort: schöner kann es nicht werden! Eher unpersönlicher, cooler, moderner eben.
Gestern habe ich mich dann reingetraut. Und es war genauso wie ich vermutet habe. Es gibt jetzt von allem mehr! Eine ganze Wand mit veganem Fleischersatz. Eine grosse Fläche für Sushi und Takeaway-Salate. Eine riesen Insel mittendrin mit Tchibo Zeugs. Und die Regale alle viel höher und mit vielmehr Auswahl. Und alles so schnurgerade.
Wo man vorher noch kommunikativ mit anderen Einkäufern über Obst und Gemüse fachsimplen konnte, ist jetzt alles so streng getrennt.
Wo man vorher noch im freien Space zu Mozarella und Harzer Käse greifen konnte, muss man jetzt immer erst Glastüren auseinanderklappen, bevor man an die Ware kommt.
Schick, schick… und vielleicht auch ökonomischer?
Aber irgendwie fühlt man sich viel isolierter; jeder ist so für sich.
Auch die Kassen wirken jetzt so steril. Der nächsten Coronawelle vorbeugend sind jetzt alle Kassierer mit Plexiglas umbaut.
Und wo ist denn meine wasserstoffblonde mollige Kassiererin, die sich immer so gefreut hat, was ich wieder für Kochzutaten kaufe.
Hoffentlich ist die nicht auch abhanden gekommen!
Stattdessen stelle ich mich bei einer erhöht gebauten Kasse an, an der ein hipper Typ mit Bart sitzt. Hinter ihm eine Wand mit ungefähr 200 Zigarettensorten.
Als ich klein war, hatten wir in unserer Nähe einen Kaufmann. Der Vater hieß Herr Meissner, der Sohn Herr Krämer. Ob das wirklich ihre Namen waren, weiss ich nicht.
Wir holten dort am Samstag unsere Brötchen und hängten unseren Nachbarn auch eine Brötchentüte an die Tür.
Vor dem Laden stand ein Pappplakat mit den Eissorten. Es gab Brauner Bär und Dolomiti und Minimilk.
Meine Eltern regten sich immer über Herrn Meissner auf, weil er so ein Pfennigfuchser war.
Er war so klein, dieser Laden. Und jeden, der dort auch gerade einkaufte, kannte man.
Irgendwie bin ich froh, dass ich das noch so kenne.
Ist doch nur ein Supermarkt, dachte ich, als den Alster Royal Palast-Rewe verliess.
Muss Dich ja nicht wirklich kratzen…
Aber doch! Es kratzt mich! Weil ich das Gefühl habe, dass gerade im Moment vieles unpersönlicher und „grösser“ wird.
Und ich mich dann einfach ungeborgener fühle als vorher.
Vielleicht geht es auch manch anderem so …
Und vielleicht müssen wir versuchen, zwischen uns Menschen persönlich zu bleiben. Oder sogar noch mehr zu werden!
Die Modernisierung kann man nicht aufhalten. Aber selbst etwas tun, um sich und anderen Geborgenheit zu vermitteln, dass kann jeder!
Meine Kassiererin ist doch noch da! Jetzt ist sie Grau-Blond-Lila. Passend zur neuen bläulichen LED Beleuchtung.
Aber ihr breites Lachen hat sie noch! EIN GLÜCK!
Bild:Peter Wolf auf Pixabay