Einmal noch Schnee - Christiane Lohmann
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Einmal noch Schnee

Einmal noch so richtig Schnee erleben – das war lange ein Traum von mir!

Bis ich 20 war, war es ganz normal für mich in den Wintersport zu fahren.
Danach wurde es zum Luxus. Das letzte Mal auf Skiern ist schon 20 Jahre her.

Doch die Sehnsucht, mal wieder von Schnee umgeben zu sein, hat mich die letzten Jahre immer wieder eingeholt.
Nun habe ich beschlossen: Das Leben ist so kurz, ich will einfach so viele meiner Sehnsüchte verwirklichen wie ich kann.

9 Stunden fahre ich mit der Bahn über München und Garmisch Patenkirchen nach Seefeld.
Dort habe ich Freunde, die mir ihr kleines Appartment zur Verfügung stellen – Glück muss man haben!
Die Zeit vergeht wie im Fluge, die letzten 3 Stunden fahre ich mit einer kleinen Bummelbahn- auf den Tischchen ist eine Karte der Stationen von München bis Seefeld aufgemalt- ganz herzallerliebst :-)!
Vorbei an türkisblauen Seen, schneebedeckten Wiesen, romantischen Holzhäusern, steigt meine Vorfreude und mein Herz wird weit.

Als ich endlich aussteige, ist es überraschend warm – viel zu warm, um ehrlich zu sein – aber diese Luft! Die ist genauso rein und klar, wie ich es von damals in Erinnerung habe.
Ich stiefele durch den Ort – mein Gott, es ist mondän hier – und fühle mich etwas komisch, so alleine zwischen all den Apres-ski feiernden Grüppchen.
Mein Blick geht zu den Loipen unterhalb des Seekirchleins – dort üben die Leute fleissig Langlauf und morgen werde ich unter ihnen sein.
Puhh, ich habe ganz schön Respekt davor – zuletzt habe ich als zehnjährige mit Mama auf diesen langen dünnen Brettln gestanden – damals habe ich nur geschimpft weil es so anstrengend war. Und bergab zu fahren ohne hinzufliegen – ein wahres Kunsstück!
Aber die Vorstellung, auf einsamen Loipen durch stille Täler und Winterwald zu gleiten, gibt mir den Mut, es nochmal zu versuchen!

Vom Appartement bin ich entzückt! Lauter helles Holz und rote gemütliche Möbel, ein Balkon in der Sonne mit Blick auf die Berge – herrlich! Passend zum Rot koche ich Penne amatriciana, trinke Rotwein und entzünde ein rotes Teelicht… wunderbar, ich bin angekommen!

Das Ski-leihen am nächsten Tag erweist sich als total unkompliziert und für 15 Euro verlasse ich perfekt ausgerüstet den Verleih.
Auf der Übunsgloipe kopiere ich heimlich die Übungen eines Privatlehrers mit seinem Schützling, einem älteren sehr grossen Herrn, der ständig: „Aber es sieht doch immer so leicht aus“ vor sich hinmurmelt.
Ich finde es gar nicht so schwer und schaue mich stolz um – jetzt gehöre ich auch schon ein bisschen dazu!

Da, zack, macht die Langläuferin plumps, ich verliere das Gleichgewicht und lande auf dem rechten Po.
Auwei, lange nicht mehr so einen Schmerz gehabt, aber natürlich versuche ich tapfer, schnell wieder aufzustehen.
Doch das Ausftehen ist beinahe noch schlimmer, ich rutsche ständig nach vorne und schaffe es kaum, mich mit dern Stöcken wieder hochzuhieven. Seeeehhhr peinlich – zumal anscheinend kein anderer Mensch weit und breit hinfällt.

Das Gleiche – natürlich wieder genau auf die gleiche Pobacke – passiert mir 10 Minuten später nochmal. Diesmal komme ich schon etwas eleganter hoch.
Okay, 2mal gefallen, jetzt traue ich mich auf meine erste 3 km lange Loipe (bei der ich mir vornehme NICHT zu fallen.)
Denn hier geht es auch zweimal einen kleinen Hügel bergab! Ich rufe dabei laut das Mantra: „Go with the flow, baby “ aus, weil ich weiss, dass man auf jeden Fall überhaupt nicht ans Fallen denken darf, und siehe da, es klappt!
Nach dem zweiten Mal dieser Loipe, kehre ich nochmal zum Skiverleih zurück und verkünde stolz, dass ich jetzt schon ein halber Profi bin!

Am nächsten Tag traue ich mich dann an eine 11,7 km lange Loipe. Gestern war es sonnig , heute ist es bedeckt. Ich habe schlecht geschlafen und solchen Muskelkater, dass ich nachts meine Beine anheben musste um vom Bett aufs Klo zu kommen. Es ist viel zu warm und die Loipe ist immer wieder verharscht und bremst mich ab. Alle 0,5 km kommt ein Schild: Nur noch 12,5 km…nur noch 12km… Nur noch?
Immer wieder mal bleibe ich stehen und denke: Jetzt! Jetzt ist es hier genauso, wie Du es Dir ersehnt hast! Du gleitest durch stille Täler und bist mitten im Schnee! Ja,und das ist auch wirklich märchenhaft – aber auch anstrengend und mühsam! Und… so ganz im Glück, wie beim wandern alleine, fühle ich mich auch nicht.

Nach 7 km bin ich echt erschöpft. Und zack! Diesmal falle ich nach hinten, so richtig schön aufs Steissbein.
Okay, genug für heute, glücklicherweise stehe ich gerade am einzigen Wirtshaus am Weg. Ich gönne mir eine Johannisbeerschorle und erzähle dem Kellner stolz von meinen 7 km. Der lacht sich fast tot.
„Als ich das gelernt habe, bin ich gleich am nächsten Tag mit den Skiern ins nächste Dorf gefahren. Ähhh, ich glaube das waren so 35 kilometer.“ „Und wie alt bist Du?“ „Zwanzig“ sagt er, und ich schreibe das auf jeden Fall seiner Jugend zu.

An diesem Abend gönne ich mir den wunderbaren Luxus des Olympiaschwimmbads: ich schaukle im sanften Wasser, entpanne meinen schmerzenden Körper in der Kaminsauna und bewundere von der Aussenterasse das nächtliche Seefeld.

Am nächsten Tag kommen meine Freunde und wir verbringen 2 Tage mit Schneewandern in stillen Wäldern, Kaffeetrinken an Bergseen und nächtlichen Spaziergängen durch Seefeld.

Dann wird es Zeit, Lebewohl zu sagen, zu meine Freunden und zu Seefeld.
Die Sonne ist schon so warm, dass der Schnee wohl bald weggetaut sein wird.
Wie lange wird man überhaupt noch Wintersport machen können?

Ich sitze im Zug und schaue und schaue auf die Berge.
Immer ein bisschen traurig, wenn ich die Berge wieder verlasse.

Nur 4 Tage war ich in Seefeld. Aber es war so wohltuend in dieser Helligkeit, dieser Winterwelt, dieser klaren Luft!
Als der Zug in München einfährt, sehe ich die ersten Hochäuser.

Wenn ich das mit den weiten Wiesen und den Holzhäusern vergleiche kommt es mir fast wie ein Rückschritt vor, den wir Menschen gemacht haben. Für meine Seele jedenfalls ist ersteres besser!